Roland Ionas Bialke - Indymedia - 9. April 2009
Gestern, am 8. April 2009, fand in Berlin ein Prozess gegen eine Aktivistin statt, die beschuldigt wird am 30. April 2008 in Hamburg nach einer Demonstration eine Sparkasse (HASPA) entglast und einen Stein auf die Polizei geworfen zu haben. An dem Prozess nahmen zwei Polizisten teil, die sich mit Perücke und Brille verfremdeten und auf Grund einer eingeschränkten Aussagegenehmigung viele Details über das Geschehen nicht Aussagen wollten.
Gegen 10 Uhr fanden sich im Berliner Kriminalgericht 17 ProzessbeobachterInnen ein. Anwesend waren auch zwei Polizisten der Berliner Spezialeinheit für politisch motivierte Strassengewalt (PMS). Diese gaben den fünf aus Hamburg angereisten Polizisten Tipps für die Verhandlung. Zwei der Hamburger Polizisten, die sonst auch in Uniform dienen, verkleideten sich, waren jeweils mit einer Perücke und einer Brille "verfremdet". Was der Zweck dieser Verkleidung war bleibt ein Rätsel, denn bis auf das Haupthaar war an den Polizisten alles zu erkennen.
Die Anklageschrift wurde durch den Staatsanwalt verlesen, der Aktivistin wurde vorgeworfen am 30. April 2008 gegen 22 Uhr 35 nach einer Demonstration in Hamburg aus einer Menschenmenge herausgetreten zu sein und mit etwa 15 Personen vermummt mit Eisenstangen und Steinen die Hamburger Sparkasse an der Ecke Juliusstrasse angegriffen zu haben. Dabei soll die Aktivistin insgesamt 10 Steine geworfen haben. Später soll sie unvermummt einen Stein auf die anrückende Polizei geworfen haben. Dies soll laut Anklage ein schwerer Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, ein Verstoss gegen das Versammlungsgesetz (Vermummung) und eine versuchte gefährliche Körperverletzung gewesen sein. Die beschuldigte Aktivistin äusserte sich nicht zur Sache!
Der erste Zeuge, der Polizist Ronny Peter Köchert (30) aus Norderstedt, trat leicht verfremdet mit einer blonden Perücke und einer Brille auf. Das gab er auf Nachfrage sofort zu. Die Rechtsanwältin der Aktivistin beanstandete dieses Auftreten und beantragte das Verfahren auszusetzen. "Es liegt keine wirksame Sperrerklärung vor. Die verdeckten Ermittler sind nicht mit Leib und Leben bedroht. Die Verkleidung ist daher illegal." Nach einer kurzen Pause wies der vorsitzende Richter den Antrag ab. Der Richter sagte: "Das äussere kann so gestaltet werden wie der Zeuge es möchte, solange es nicht die Würde des Gerichts antastet. Die Mimik und Gestik des Zeugen ist zu erkennen, die Verteidigerrechte sind nicht eingeschränkt." Zur eingeschränkten Aussagegenehmigung sagte der Richter, dass eine Sperrerklärung nicht vorliegt, da es sich um keine verdeckten Ermittler handelt, sondern um Polizisten die auch in Uniform ganz gewöhnlichen Dienst leisten würden.
Der Zeuge sagte nun aus, dass er sich am 30. April 2008 nach einer Demonstration im Hamburger Schanzenviertel in der Nähe der Roten Flora befand. Dort begaben sich etwa 50 Personen auf die Strasse. Von einer Baustelle wurden Gegenstände auf die Fahrbahn gezogen und Ziegelsteine wurden aufgenommen. Auf der Strasse Schulterblatt wurde eine Barrikade angezündet. Gegen 22 Uhr 30 wurde dann die HASPA Ecke Juliusstrasse mit weissen Steinen beworfen. Der Angriff dauerte etwa 20 bis 30 Sekunden. Kurze Zeit später wurde die Sparkasse erneut, diesmal jedoch aus kürzerer Distanz, angegriffen. Die Fenster wurden, so der Zeuge, versucht mit Steinen zu "zerschlagen" und brennende Lappen wurden in die Sparkasse geworfen. Der Polizist war in ziviler Kleidung unterwegs und bekam dann vom ebenso zivil gekleideten Polizisten Rudolf eine Personenbeschreibung. "Etwa 1,60m gross, Schwarz gekleidet, 3/4-Hose und schwarze Handschuhe" bekam Köchert mit, hatte selbst die Person beim Angriff auf die HASPA nicht wahrgenommen. Der Zeuge erkennt die Person, wie sie sich in der Susannenstrasse die Kopfbedeckung abnimmt. Er erkennt die Person, weil es die einzige ist die eine 3/4-Hose trägt, dunkel gekleidet ist und etwa 1,60m gross ist. Er ist 2 bis 3 Meter entfernt, als die Person die Vermummung abnimmt. Die Person sei dann weiter verfolgt worden. Es war dunkel und die Sicht war nicht so gut, da die Strasse durch die brennende Barrikade verraucht war. Dann will der Zeuge gesehen haben, wie die Person über einen Bauzaun auf die anrückenden PolizistInnen einen Stein geworfen hat. Die Personenbeschreibung sei dann an uniformierte Kräfte weitergegeben worden, die dann die Person in Eingangsbereich des Bahnhofs Sternschanze festnahmen. Auf Nachfrage der Rechtsanwältin gab Köchert widerwillig an in einem Dreierteam unterwegs gewesen Zu sein. Zu seinem Team gehörten neben ihn noch die Polizisten Rudolf und Ziervogel. Seid beginn der Hamburger Walpurgisnacht-Demonstration haben sie die DemonstrantInnen in ziviler Kleidung "begleitet". Über die Kommunikation untereinander verweigerte Köchert die Aussage auf Grundlage der fehlenden Aussagegenehmigung zur Taktik. Köchert gab aber zu, dass seine Aufgabe die "Aufklärung von Straftaten" sei. Für Festnahmen sei er nicht zuständig.
Nun sagte sein mit einer schwarzen Perücke verfremdeter Kollege Rudolf (36) aus Hamburg aus. Er sah wie zur selben Zeit Personen auf dem Schulterblatt Holzpaletten anzündeten und so die Strasse, auf der noch Autos verkehrten, blockierten. Etwa 50 Personen seien daran beteiligt gewesen. 10 bis 15 hätten dann die HASPA mit weissen Steinen attackiert. Das sei aber keine feste Gruppe gewesen, so der Polizist. Er will dann gesehen haben wie eine dunkel gekleidete Person mit einer 3/4-Hose zwei Steine gegen die Sparkassenscheibe geworfen hat. Auf Nachfrage des Richters sagte Rudolf, dass die Person erst auf die Scheibe eingeschlagen hätte und dann zwei Mal auf die Scheibe mit Steinen geworfen hat. Dies aber widersprach eindeutig der Aussage seines Kollegen. Dieser hatte ja gesehen, wie nachdem er von Rudolf über Würfe der Person informiert wurde, dass die Person auf die Scheibe eingeschlagen hatte. Auffällig war, dass die Zeugen die gleichen Formulierungen benutzten, so als ob sie sich vorher abgesprochen hätten. Widersprüchlich zu der Aussage Köcherts war auch Rudolfs folgende Ausführung: "Es war nicht so, dass die Strasse eingeraucht war. Die Barrikade hat Licht gespendet." Auch will Rudolf gesehen haben wie die Beschuldigte sich erst mit Freunden getroffen hat und dann einen Stein auf die Polizei geworfen hat. Der Polizist Köchert sagte das aber zuvor genau anders herum aus. Ebenso wurde bei der Aktivistin ein Alkoholwert von 2,4 Promille gemessen. Der Zeuge sagte aber aus, dass die vermummte Person nicht ataxisch gewesen sei. Der Richter fragte anschliessend: "Waren sie zivil unterwegs an diesem Tag?" Der Zeuge antwortete: "Ich weiss nicht, ob ich diese Frage beantworten muss." Musste er aber und fügte noch an, dass die zivil gekleideten AufklärerInnen (in Hamburg) die Personenbeschreibungen an eine (zentrale) "Bearbeitergruppe" weitergeben. Dort entscheidet dann der "Polizeiführer" über einen Zugriff. Diese gibt dann die Beschreibung an die uniformierten Kräfte weiter, die dann die Person festnehmen. Rudolfs Chef sei ein gewisser Herr Strassberg, dieser war aber am 30. April 2008 nicht derjehnige der die Festnahme anordnete. Die sachbearbeitende Stelle sei aber das LKA 7 in Hamburg.
Als dritter Zeuge sagte der Polizist Stefan Ziervogel (34) aus Winsen aus. Entgegen Rudolfs Aussage meinte er: "An der HASPA war es schon eine feste Gruppe." Da seine beiden damals zivil gekleideten Team-Kollegen aussagten sie und Ziervogel seien ein Team, er wäre aber zum Zeitpunkt der Tat nicht bei ihnen gewesen, fragte der Richter: "Was haben Sie eigentlich gemacht, weil Sie nicht beim Team waren." Im Publikum wurde "Steine werfen" gemurmelt. Ziervogel antwortete: "Als Team müssen wir nicht zwangsläufig zusammen bleiben. Wir blieben während des Einsatz getrennt." Nun wurde der Polizist gefragt, ob er von irgendeinen anderen in zivil agierenden Beamten der nicht in seinen Team war während des Einsatzes angesprochen wurde. Ziervogel verneinte! Ihm wurde daraufhin vorgehalten, dass die Kollegin Rütemann die am selben Ort zur selben Zeit, aber in einen anderen zivil gekleideten Team die Tat gesehen haben will, vermerkte Ziervogel angesprochen zu haben. "Nachdem sich die Lage beruhigt hatte, verlor ich die Beschuldigte aus den Augen, sah den Herrn Ziervogel und teilte ihm da mit." vermerkte Rütemann. Warum diese Lüge? Der Staatsanwalt half den Zeugen die Lüge - seine Aussage - zu relativieren. Nun konnte sich doch geeinigt werden, dass die PolizistInnen Rütemann, Brinkmann und Schnurbusch in einen weiteren Team die Gegend in ziviler Kleidung observiert hatten. Zuvor wollte Ziervogel nicht damit rausrücken, wieder wegen der Taktik, dass Rütemann in ziviler Kleidung unterwegs gewesen war.
Der vierte Zeuge war dann der Polizist Daniel Schnurbusch (30) aus Pinneberg. Auch er wollte nichts zu seiner Kleidung und seiner Aufgabe am Tattag sagen. Dann musste er es aber trotzdem tun: "Ich habe die Demonstration begleitet und war in zivil unterwegs." Die Entglasung der HASPA konnte er beobachten, meinte aber, dass die Attacken gegen die HASPA 7 bis 8 Minuten gedauert hätten und 30 bis 40 Personen hätten dabei mitgemacht. Er war auch der einzige, der 700 (!) Personen im Umfeld der Bankfiliale gesehen hat. Auf die Beschuldigte angesprochen sagte er: "Ich habe zwei direkte Würfe auf die HASPA gesehen." Danach hätte er sich mit seiner Hundertschaft kurzgeschlossen und mit Köchert und Rudolf gesprochen. Offen natürlich nicht, sondern nur, wie er sagte "sinngemäss: Habt ihr die auch drauf?". Schnurbusch sagte dann aus, dass zwischen den beiden Würfen auf die HASPA nichts passiert sei. Daraufhin bemerkte der Richter: "Die anderen Kollegen haben gesagt: Schlagen, werfen, schlagen, werfen." Ausserdem sagte mindestens ein Zeuge zuvor, dass die Person mit der 3/4-Hose nach dem ersten Wurf nochmal einen Stein aufgenommen hatte, deshalb nochmal zur Baustelle ging. Dies widersprach Schnurbuschs Aussage. Die Aktivistin hatte im Gerichtssaal eine Brille auf. Der Richter fragte darum den Zeugen, ob sie damals auch eine Brille aufgehabt hatte. Der Zeuge, der zuvor ausgesagt hatte, dass er alles genau beobachtet zu haben, sagte: "Kann ich nicht sagen." Im Gericht konnte er die Person auch nicht mehr identifizieren. Allerdings sagte Schnurbusch aus, dass Ziervogel, Rudolf und Köchert während der Tat zusammen waren. Wieder half der Staatsanwalt der diese widersprüchliche Aussage zu relativieren, verstrickte sich aber in einer weiteren Lüge. Er sagte nun nämlich, dass er Ziervogel nicht gesehen habe, sie aber mit Rütemann zusammen war und diese Ziervogel sah. Sie will aber mit Ziervogel gesprochen haben. Die Zeugin Rütemann sei zur Zeit schwer erkrankt, sagte Schnurbusch. Darum sollte sie auch nicht mehr aussagen können.
Letzter Zeuge im Prozess war der aus Norderstedt stammende Polizist Dennis Rehm (30). Er war uniformiert unterwegs und unterstützte seine uniformierten Kollegen Stelle und Fricke bei der Festnahme der Aktivistin. Er hatte die Personenbeschreibung von einer zentralen Stelle bekommen, jedoch nicht von den zivil gekleideten Einsatzkräften. Sein Chef war ein Herr Strassberg, der gesagt hat wer festzunehmen ist. Dann wurde Frau Rütemanns Aussage verlesen. Diese konnte nicht wegen einer "schweren Erkrankung" aussagen. Sie hatte durch die Beschuldigte erst sechs Würfe auf die HASPA gesehen, dann hätte sich die Beschuldigte weiter mit Steinen versorgt und dann nochmal fünf Steine auf die HASPA geworfen. Sie wusste, dass Ziervogel die Beschuldigte in Sicht hatte und deshalb sich mit ihm abgesprochen hatte. Das Hamburger LKA 72 habe später Strafantrag gestellt.
Nun trug jemand von der Jugendgerichtshilfe dem Richter und seinen beiden BeisitzerInnen die verkürzte Lebensgeschichte (Familienverhältnisse, Ausbildungsverhältnis, etc.) der Aktivistin vor - Er schlägt die Anwendung von Jugendstrafrecht vor und regt ein Anti-Aggressions-Training und eine Verwarnung gegen die Aktivistin an.
Es folgte das Plädoyer des Staatsanwalts. Er bestätigt bestätigt die Widersprüche, die die Zeugin Rütemann vermerkt hat, gibt an, dass die Zeugin Rütemann nicht gehört werden konnte. Es kann daher zu einer Verwechslung gekommen sein. "Diese Aussage ist nicht geeignet um einen Schuldspruch zu tragen." Trotzdem meinte der Staatsanwalt dann, dass die anderen Zeugenaussagen Steinwürfe auf die HASPA, Vermummung und ein Steinwurf auf die Polizei beweisen. Allerdings sei es kein Landfriedensbruch, da nach den Aussagen klar sei, dass die Beschuldigte sich aus der Personengruppe herauslöste. Trotzdem wären da noch die versuchte gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, und den Verstoss gegen das Versammlungsgesetz wegen der Vermummung. Es sei jedoch Jugendstrafrecht anzuwenden, da die Beschuldigte sich noch in einem Entwicklungsprozess befände. Der Staatsanwalt beantragte eine Verwarnung gegen die Aktivistin auszusprechen und ihr 10 Stunden gemeinnützige Arbeit sowie ein Anti-Gewalttraining aufzuerlegen. Die Rechtsanwältin schloss sich diesen Antrag an, mit der Ausnahme, dass keine Vermummung und keine versuchte gefährliche Körperverletzung vorliegen würde. Ebenso wurde klar, dass Richter, Staatsanwalt und Rechtsanwältin zu einer Strafe geeinigt hatten.
Nach einer Pause verkündete der Richter das Urteil: Wegen Sachbeschädigung bekommt die Aktivistin eine Verwarnung und muss 10 Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten. Zusätzlich muss sie an einen Anti-Aggresions-Training teilnehmen, ersatzweise bis zu vier Wochen Jugendarrest. Die Gerichtskosten muss sie nicht tragen. Zusätzlich wird noch ein weiteres Verfahren, dass danach der Berliner Staatsschutz eingeleitet hatte, eingestellt. Das Urteil ist rechtskräftig!
Fazit: Alles in allem hatte die Aktivistin sehr viel Glück. Auch wenn die Polizisten offensichtlich gelogen und sich widersprochen haben, musste der Richter den grossen Aufwand gegen die Aktivistin rechtfertigen. Das tat er auch mit seinen Schlussbemerkungen, in dem er die Randale zum 1. Mai verurteilte. Jedoch blieb der Richter relativ fair und die BeisitzerInnen waren von den polizeilichen Lügen und Widersprüchen sichtlich überfordert. Ein konservativerer Richter hätte für eine mehrmonatige Bewährungsstrafe gesorgt.
Video der Barrikade am 30. April 2009 - http://www.youtube.com/watch?v=UqiBgApoHk0
Bitte achtet darauf, dass ich die Namen der ZeugInnen nur gehört und nicht gelesen habe! Es können sich darum Fehler eingeschlichen haben.