Roland Ionas Bialke - Indymedia - 19. September 2009
In den letzten Wochen fanden mehrere Gerichtsprozesse gegen Menschen die sich am 1. Mai 2009 beteiligt hatten statt. In den Prozessen zeigte sich, dass die Polizei nicht davor zurückschreckte Menschen mit Lügen zu belasten und so ins Gefängnis zu bringen. Neben der Märchenstunde im Gerichtssaal wurden von der Polizei die kommerziellen Medien eingebunden um legitimen Widerstand zu demagogisieren. Vereinzelte Angeklagte hatten keine Chance und zeigten sich in der Regel geständig.
Gasgranaten, Molotowcocktails und Flaschenhagel - Am 1. Mai 2009 wurde der Staat wie seit Jahren nicht mehr angegriffen. Bei der Berliner Revolutionären 1. Mai-Demonstration (18 Uhr) wurde schon der erste Trupp PolizistInnen nach dem Losgehen massiv angegriffen und so wahrgemacht was zuvor in der Pressekonferenz der OrganisatorInnen angedeutet wurde. Doch während viel Wert auf Angriff gelegt wurde, wurde die Anti-Repressionsarbeit fast vollkommen vernachlässigt. Lobenswert war der "Prison Support", deren AktivistInnen vor den Gefangenensammelstellen auf die Gefangenen warteten und diese mit Nahrungsmittel versorgten, und der Ermittlungsausschuss, deren AktivistInnen den Gefangenen AnwältInnen vermittelte. Trotzdem kam es nur zu wenig Unterstützung. Eine Prozessbeobachtung von Angeklagten, die in "der Szene" keine FreundInnen hatten, wurde fast komplett vernachlässigt. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass ein Aktivist, nachdem er einen Molotowcocktail auf PolizistInnen warf und deswegen festgenommen wurde, sich nach der Festnahme geständig zeigte und sich nun wegen versuchten Totschlag zu verantworten hat.
FAO gegen Yunus und Rigo
Während des 1. Mai wurde in Berlin nach Polizeiinformationen die Taktik "Aufklärung und Intervention" (AuI) gefahren. "Aufklärung und Intervention" ist keine feste Polizeieinheit sondern ein Zusammenspiel von verschiedenen in ziviler Kleidung operierenden Polizeikräften während "besonderer Lagen". Bis zu 100 PolizistInnen trainierten zuerst bei Fussballspielen, koordiniert beim LKA 633, bis sie am 1. Mai zum Einsatz kamen. PolizistInnen der Einheiten "Fahndung, Aufklärung, Observation" (FAO), "Operative Gruppe Jugendgewalt" (OGJ) und "Mobiles Einsatzkommando" (MEK) wurden für diese Maßnahmen rekrutiert.
Vor einigen Wochen kam es zur Anklage gegen Yunus und Rigo. Den beiden wird vorgeworfen am Abend des 1. Mai 2009 einen Molotowcocktail auf PolizistInnen geworfen zu haben. Eine Frau wurde verletzt, als brennendes Benzin auf ihren Rücken tropfte. Mitglieder der bei der Polizeidirektion 5 angegliederten Einheit FAO nahmen die beiden Schüler fest. Die Polizisten sahen keinen Werfer und keine Werferin, sondern nahmen Yugus und Rigo willkürlich fest. Die AnwältInnen der beiden, sichtlich durch die falschen Verdächtigungen in eine defensive Lage gedrängt, nennen es "Verwechslung". Doch die FAO der Direktion 5 ist nicht irgendeine Polizeieinheit. Gegen etliche Mitglieder dieser Einheit wurde wegen bandenmässigen Drogenhandel, Urkundenfälschung, Meineid und Vorteilsannahme ermittelt. Alle Anklagen wurden allerdings wegen "fehlender Aussagegenehmigung" eingestellt. Auch in dem Prozess gegen Yunus und Rigo wurde nun von den RechtsanwältInnen angekündigt, dass Strafanzeige gestellt wird. Neben falscher Verdächtigung steht das Verschwindenlassen von entlastenden Beweismittel im Raum.
Aus taktischen Gründen, bei mehrtägigen Prozessen können sich die Zeugen untereinander absprechen, kann ich nicht im Detail berichten. Am 9. September 2009 veröffentlichte ich auf Indymedia einen Bericht über den vergangenen Prozesstag, liess ihn aber kurze Zeit später wieder verstecken. Obwohl dieser Bericht nur sehr kurz abrufbar war, verschickte die Berliner Polizei am folgenden Tag polizeiintern einen Newsletter in dem der Bericht im Volltext enthalten war. Jeder Berliner Polizist und jede Berliner Polizistin konnte diesen Newsletter abrufen, so POK Berger (FAO), der am folgenden Prozesstag gestand den Prozessbericht gelesen zu haben.
LKA 62 (Operative Dienste) gegen Christian
Auch Christian wurde dieses Jahr am 1. Mai festgenommen. Polizisten in ziviler Kleidung "markierten" ihn und uniformierte Kräfte nahmen Christian fest. Christian wurde beschuldigt am 1. Mai 2009 mit Flaschen geworfen zu haben. Doch so unwahrscheinlich es klingt: Christian konnte diese Flaschen nicht auf die von den Polizisten beschriebene Weise geworfen haben. Auch hier kann ich noch nicht ins Detail gehen, da die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen ist.
Nicht nur, dass bis zu 18 PolizistInnen in ziviler Kleidung den Prozess beobachteten - Es stellte sich auch heraus, dass ein später aussagender Zeuge den Prozess an mindestens zwei Prozesstagen als Zuschauer beobachtete. Wie auch im Prozess gegen Yunus und Rigo, gaben die Polizisten an, Angst vor gewisse ProzessbeobachterInnen zu haben. Beide Gerichtsprozesse haben aber noch eines gemeinsam: Die Urteile scheinen schon festzustehen.
Giftgas auf die Polizei
Kurze Zeit nach dem 1. Mai 2009 wurde von Frank Millert, Pressesprecher der Berliner Polizei, verbreitet, dass Giftgas gegen PolizistInnen eingesetzt wurde. Der als "Märchen-Millert" bekannte Polizist koordniniert zusammen mit Dr. Petra Carl, Pressesprecherin der Berliner Strafgerichte, die Hetze gegen die 1. Mai-Beschuldigte. So werden schonmal pikante (akteninterne) Details über Beschuldigte von Justiz und Polizei an Zeitungen weitergegeben. In dem Fall der "Giftgas-Granate", die 47 PolizistInnen ausser Gefecht gesetzt haben soll, stellte sich nun heraus, dass es sich um eine Granate des Typs M7A2 gehandelt hatte. Zwar ist in einer solchen Granate 2-Chlorbenzyliden-malonsäuredinitril (CS-Gas) enthalten, jedoch kann von Giftgas nicht gesprochen werden. So wird dieser Granatentyp in England von der Polizei eingesetzt um Demonstrationen zu zerschlagen. Trotzdem wird, so die kommerziellen Medien, wegen "Terrorismus" ermittelt.
Die militärische Ausführung der Granate spricht jedoch eher gegen DemonstrantInnen, die die Polizei damit attackierten. Es wäre nicht das erste Mal, dass Beweise auftauchen die es garnicht gibt. So meinte Millert auch bei der erneuten Festnahme von Alexandra, die beschuldigt wird ein Auto angezündet zu haben und zur Zeit immernoch in Untersuchungshaft gehalten wird, dass ein neues Beweismittel aufgetaucht sei und dies nun Untersuchungshaft begründet. Doch dass ein solches Beweismittel nicht existiert scheint weder RichterInnen noch die LeserInnen der kommerziellen Medien gegenwärtig zu interessieren. Sie daran zu erinnern muss nun Unsere Aufgabe sein.
Ähnliche Granaten lassen sich übrigens als Spielzeug für 40 Euro kaufen und mit CS aufrüsten. Darum ist es überhaupt nicht notwendig Granaten aus militärischen Beständen zu entwenden und von England nach Deutschland zu schmuggeln. Das erinnert mich irgendwie an die "Sauerland Bomber", die sich vom MIT funktionsunfähige Sprengzünder geben liessen, um diese illegal nach Deutschland zu schmuggeln. Und das, obwohl es ähnliche Sprengzünder in Deutschland legal in jeder grösseren Stadt frei zu kaufen gibt.
Für MedienwissenschaftlerInnen sicherlich sehr interessant. Aber auch politische AktivistInnen sollten sich mal die Prozesse anschauen, um zu sehen was da alles gespielt wird und um was es da geht. In den Prozessen kann viel über Taktik erfahren werden und sich PolizistInnen, die sonst nicht als PolizistInnen wahrnehmbar sind, angucken.
5. Oktober 2009 - 10 Uhr 15 - Landgericht Berlin (Turmstrasse 91) - Raum 862 - Prozess gegen Christian
6. Oktober 2009 - 9 Uhr - Landgericht Berlin (Turmstrasse 91) - Raum 817 - Prozess gegen Yunus und Rigo
Solidaritätsgruppe für Yunus und Rigo - http://www.yunus-rigo-prozess.de
Solidarität für Christian und andere Gefangene - http://antiknastabend.blogsport.de