Roland Ionas Bialke - Indymedia - 23. September 2009
Vorgestern, am 21. September 2009, begann im Berliner Landgericht der Prozess gegen Rene und Benjamin. Den beiden wird vorgeworfen in der Nacht zum 2. Mai 2009 während der "Mai-Ausschreitungen" in Kreuzberg einen Molotowcocktail geworfen zu haben und zwei weitere Brandsätze in einem Hinterhof zusammengebaut zu haben um damit auf die Polizei zu werfen. Einer der Angeklagten liess sich schon nach seiner Festnahme ein und tat das nun auch im Gerichtssaal. Zwei PolizistInnen in ziviler Kleidung hatten Rene und Benjamin während der Tat begleitet und mit ihnen gesprochen. Die Anklage lautet "versuchter Mord" und "Besitz von verbotenen Waffen".
Etwa 35 ProzessbeobachterInnen und 8 PressevertreterInnen wollten den Prozess vor der Grossen Strafkammer des Berliner Landgerichts zuschauen. Darunter auch 3 Polizisten in ziviler Kleidung. Als Rene und Benjamin nach einer Verspätung in den Gerichtssaal geführt wurden, erwartete sie ein kleines Blitzlichtgewitter und zwei Kamerateams. Die Anwälte eilten schnell zu ihren Mandanten und gaben ihnen Aktenordner zum verdecken der Gesichter. Noch bevor die Anklageschrigt verlesen wurde, beantragten die Anwälte den Ausschluss der Öffentlichkeit. Dieser Antrag wurde mit Gerichtsbeschluss abgelehnt, da, so die drei BerufsrichterInnen und die beiden "LaienrichterInnen", dieser Prozess von erheblicher öffentlicher Bedeutung sei.
Nun verlas Staatsanwalt Reinhard Albers die Anklageschrift. Nach dieser hätten Rene und Benjamin am 2. Mai 2009 gegen 0 Uhr 35 einen Molotowcocktail in Höhe Adalbertstrasse 18 zusammengebaut, entzündet und auf eine Einheit vorbeirennende Bundespolizisten geworfen. Der brenndende Docht des Brandsatzes sei aber in der Luft abgefallen und die mit Brandmittel gefüllte Flasche etwa einen halben Meter neben einen Polizisten auf dem Boden zerschellt. Das Brandmittel habe sich nicht entzündet. Hiernach seien die beiden in den Hinterhofder Adalbertstrasse 15 gegangen und hätten dort zwei weitere sogenannte Molotowcocktails gebaut um diese auf die Polizei zu werden. Während der der gesamten Tat seien die beiden von PM´in Isabell Pietsch und PK Danny Reinicke beobachtet worden und hätten dabei auch mit den in ziviler Kleidung eingesetzten BeamtInnen geredet. Da sie den Tod eines Polizisten in Kauf genommen hätten, sei dies versuchter Mord, so Albers. Zudem währen Molotowcocktails verbotene Waffen und somit der Umgang damit ein Verstoss gegen das Waffengesetz.
Im Vorfeld kam jedoch heraus, dass sich die sogenannten Molotowcocktails nicht aus den üblichen Bestandteilen Benzin und Motoröl zusammensetzten, sondern aus Spiritus (Ethanol) und Speiseöl bestanden. Ich bin mir sicher, dass ein Gutachten feststellen könnte, dass ein Ethanol/Speiseölgemisch so geworfen eine Flamme eher löscht anstatt sich zu entzünden.
Rene liess sich ein. Sein Anwalt las vor, dass Rene bereue was er tat und er zwar einen Molotowcocktail in dieser Nacht warf, jedoch nicht vorhatte diesen auf PolizistInnen zu werfen. Sein Anwalt führte aus: "Er wollte den Molotowcocktail nur auf die Strasse werfen." Der Anwalt von Benjamin meinte, dass dieser sich ebenfalls einlassen würde - Dies aber "zu gegebener Zeit". Dieses Geständnis war keineswegs überraschend. So sagten Rene und Benjamin schon kurz nach ihrer Festnahme aus und befinden sich seitdem in Untersuchungshaft. Die Tatsache der späteren ZeugInnenaussagen, erklärte zudem diese Entscheidung.
Hiernach zeigte der vorsitzende Richter die beiden Club-Mate-Flaschen, die Rene und Benjamin im Hinterhof angeblich zu Molotowcocktails umgebaut hatten. Dann wurde ein Film der EG Video gezeigt, der zeigte was kurze Zeit vor und nach der Tatzeit in der Adalbertstrasse geschah. Ich hörte Flaschengeklirr, wie ohrenscheinlich Polizisten "44/45" und andere taktische Anweisungen riefen und "Haut ab!"-Rufe der umstehenden Personen. Ziemlich niveaulose Beleidigungen gegen die PolizistInnen waren auch zu hören.
Etwa bis 11 Uhr 15 war auch die Pressesprecherin der Berliner Strafgerichte Dr. Petra Carl anwesend. Als sie den Saal verliess, folgten ihr fast alle JournalistInnen. In den folgenden und vorherigen Medienberichten sind jedoch über den Fall auch Details zu erfahren die nicht oder erst später in der Hauptverhandlung öffentlich wurden. Das lässt den Schluss zu, dass die Pressestelle der Justiz Details weitergibt, die nicht weitergeben werden dürfen.
Als erste Zeugin wurde nun PM´in Isabell Pietsch (26) gehört. Sie ist bei der Dienstselle Oranienburg und gehört der Landeseinsatzeinheit Brandenburg (LeSa BB) an, eine Einsatzhundertschaft der Brandenburger Polizei. Am 1. Mai 2009 nahm sie, nach eigener Aussage, an der Revolutionären 1. Mai-Demonstration (18 Uhr-Demo) mit ihren Kollegen PK Reinicke teil. Als sich die Demonstration auflöste war sie bis zur Tatzeit im Bereich Kottbusser Tor mit Reinicke unterwegs. Sie spielten ein Pärchen und waren dunkel gekleidet. Sie sebst hatte einen schwarzen Kapuzenpullover und dunkelblaue Jeans an. In der Adalbertstrasse wurde sie gegen 0 Uhr 35 angesprochen, dass sie ihr Handy wegstecken solle. Sie wollte eigentlich gerade telefonieren, hatte aber kein Fotohandy. Rechtsanwalt Hubert Dreyling liess die die Zeugin nun nach § 55 StPO belehren, da Pietsch nach Aktenlage sich auch selbst mit ihrer Aussage belasten könnte. Nach der richterlichen Belehrung wollte Pietsch aber immernoch aussagen.
Pietsch sagte aus, Rene und Benjamin gegen 0 Uhr 35 in der Adalbertstrasse gesehen zu haben. Benjamin nahm eine Flasche aus einen Rucksack und holte eine Flasche mit Lappen heraus. Drei andere Personen stellten sich schützend vor die beiden Angeklagten. Rene entzündete dann den an der Flasche befestigten Lappen. Der Lappen brannte und Rene warf. Pietsch will mit Reinicke etwa zwei Meter neben den beiden gestanden haben. "In der Strasse standen nur auf den Bürgersteig Leute." Auf der geräumten Strasse liefen gerade, nach Pietsch´s Aussage, mehr als 6 Bundespolizisten entlang. Etwa einen halben Meter neben einem Bundespolizisten kam dann die ungezündete Flasche auf. Der brennende Lappen sei schon im Flug abgefallen und von allein erloschen. Pietsch meinte: "Die Flasche wurde mit rechts, ohne Anlauf gezielt auf die Polizisten geworfen." Nach einen kurzen taktischen Rückzug sei sie dann ihren Kollegen Reinicke und den beiden Angeklagten in die Adalbertstrasse 14 gegangen. Da gibt es einen Durchgang zur Adalbertstrasse 15.
Ihr Kollege Reinicke hätte im Hinterhof beobachtet, dass die beiden zwei weitere Molotowcocktails gebaut hatten. Pietsch fragte die beiden, was sie damit machen wollten. Daraufhin sollen ihr die Rene und Benjamin gesagt haben: "Was machen!". Dann gingen, so Pietsch, beide wieder auf die Strasse. Nach kurzer Zeit hätte aber einer der Angeklagten den Molotowcocktail in einem Hauseingang abgestellt und der andere Angeklagte bat die Polizistin seinen Rucksack zu nehmen. "Die Bullen schauen schon so komisch, gleich passiert was.", soll ein Angeklagter der Polizistin erläutert haben. Auf Nachfrage was Pietsch denn mit dem Rucksack machen solle, meinten die Angeklagten zu ihr: "Wegwerfen!". Anschliessend wurde ein Angeklagter von heranstürmenden Brandenburger Bereitschaftspolizisten ("zufällig" die gleiche Oranienburger Einheit wie die Zeugin) festgenommen. Kurze Zeit später der zweite Angeklagte von Berliner "uniformierten Kräften". Pietsch meinte, sie komunizierten schon vorher mit den festnehmenden Kräften.
Andere "zivile Kräfte" waren auch in der Nähe und sahen die Tat und das Abstellen des einen Molotowcocktails. Diese anderen "zivilen Kräfte" sicherten den Molotowcocktail. Im Rucksack befand sich eine 1/2l-PET Flasche gefüllt mit einer Flüssigkeit, die Pietsch aber nicht anrührte oder daran roch. Der Finder der Flasche rief Pietsch später persönlich an, ein Berliner Kollege, um sie über das Auffinden zu informieren.
Anschliessend fuhr Pietsch und Reinicke in die Kruppstrasse um dort ihre Aussagen zu machen. Pietsch wartete mit 8 Personen zusammen in der 3. Etage der Kruppstrasse, dann wurde sie vernommen. Es gab aber zwei Vernehmungen am gleichen Tag. Die erste von einer Frau Venus und die zweite Vernehmung von Herrn Podolow. Seltsam war nur, dass die erste Vernehmung vor der zweiten anfing und nach der zweiten aufhörte. Und Pietsch verliess während der Vernehmung nicht den Raum, wie sie zuvor sagte.
Auf Nachfragen der Rechtsanwälte meinte Pietsch, dass es für "zivile Kräfte" am 1. Mai eine zentrale Leitstelle gäbe, mit der sie Kontakt gehabt hatte. Dies widerspricht allerdings Angaben der FAO Dir 5, deren Mitglieder in einen anderen 1. Mai-Prozess etwas anderes angaben. Dann wurde noch nach einer "SoKo ZEB" gefragt. Pietsch sagte darüber nur, dass dort auch ihre Ladung für den Gerichtstermin hingeschickt wurde. Schliesslich berief sie sich auf ihre Aussagegenehmigung.
Der zweite Zeuge war der 27-jährige PK Danny Reinicke. Er war ebenfalls bei der Einheit LeSa BB aus Oranienburg und am 1. und 2. Mai 2009 in Berlin-Kreuzberg in ziviler Kleidung eingesetzt. Auch seine Aufgabe war es. Er sah den Wurf des Molotowcocktails und stand dabei etwa zwei Schritte entfernt. Er ging dann Rene und Benjamin in den Hinterhof der Adalbertstrasse 14/15 hinterher. Dort sah er wie die beiden aus einer 1l-PET-Flasche eine Flüssigkeit in zwei 1/2l-Flaschen umfüllten und ein Tuch zerrissen. Dann tränkten sie das Tuch in der Flüssigkeit und fragten Reinicke nach Tesa-Film. Reinicke fragte die beiden wozu sie es brauchten. "Wir wollen was machen!", sei die Antwort gewesen. An einer Mülltonne im Hinterhof gab ihnen dann eine unbekannte Person oranges Geschenkband, mit denen Rene und Benjamin dann die getränkten Lappenfetzen an die Flaschen befestigt haben sollen. Dann gingen sie wieder auf die Adalbertstrasse und sollen, laut Reinicke, auf Nachfrage gezeigt haben worauf sie werfen wollten. "Sie sagten, sie wollen auf die Bullen werfen.", gab Reinicke an. Als Reinicke sagte, beide hätten dies nacheinander gesagt, zuckten die beiden auf der Anklagebank zusammen. Irgendwas stimmte da nicht.
Reinicke will dann zu den beiden gemeint haben, dass sie das lieber lassen sollten, da "sie auch die eigenen Leute treffen würden." Daraufhin sollen Rene und Benjamin sich umentschieden haben und gingen mit Reinicke weiter. Als sie ein grosses Polizeifahrzeug sahen, das sie für einen Wasserwerfer hielten, sollen sie zu Reinicke gemeint haben, dass sie nun den "Molli auf den Wasserwerfer werfen" wollen. Schliesslich warteten sie hinter einer Abdeckung und wurden dann nacheinander von uniformierten PolizistInnen festgenommen.
Später sei auch Reinicke vernommen worden. Aber auch nicht nur einmal, sondern am selben Tag gleich zweimal. Die zweite Vernehmung nahm ein KHK Bahlke vor. Auch hier seltsames: Die Vernehmung dauerte dem Protokoll zufolge nur eine Minute. Die Rechtsanwälte löcherten Reinicke, doch dieser konnte sich nicht recht an die Vernehmungen erinnern. Auch, dass Reinickes und Pietschs Aussagen sich auf einer halbe DIN A4-Seite wortwörtlich glichen konnte Reinicke und zuvor Pietsch nicht erklären.
Gegen 17 Uhr 10 wurde die Hauptverhandlung dann unterbrochen. Eine Justizbedienstete, die schon vorher durch lautes Schimpfen gegen die ZuschauerInnen auffiel, ging zügig während der Vernehmung des Zeugen durch Anwalt Dreyling, zum vorsitzenden Richter und meinte die Alarmzentrale des Gerichts sei nicht mehr ausreichend besetzt. Daraufhin unterbrach der vorsitzende Richter den ersten Prozesstag.
Weitere Termine:
24. September 2009 - 2. Prozesstag - Landgericht Berlin (Turmstrasse 91) - Saal 806 - 9 Uhr
29. September 2009 - 3. Prozesstag - Landgericht Berlin (Turmstrasse 91) - Saal 806 - 9 Uhr
Kommerzielle Medien über den Prozess:
http://www.taz.de/regional/berlin/aktuell/artikel/?dig=2009%2F09%2F22%2Fa0058&cHash=bdea9b5917
http://www.tagesspiegel.de/berlin/Polizei-Justiz-Kreuzberg-1-Mai-Randale-Prozess;art126,2905255
http://www.bz-berlin.de/tatorte/schueler-bestreiten-mordversuch-article589712.html