Roland Ionas Bialke - Indymedia - 14. Oktober 2009
Vereinzelung, Spaltung der schwachen Antirepressionsarbeit und abschreckende hohe Strafen - Mit nahezu perfekter Repression gelingt es zur Zeit die AktivistInnen des 1. Mai einzuschüchtern. Christian P. wurde heute, am 14. Oktober 2009, wegen zweifachen Landfriedensbruch und 19-facher versuchter Körperverletzung zu 2 Jahre und 6 Monate Haft verurteilt. In einem weiteren Prozess gegen Yunus und Rigo, der auch heute stattfand, wurde es abgelehnt die beiden Jugendlichen aus der Untersuchungshaft zu entlassen. In den Prozessen gelang es die Angeklagten als "unpolitische" Menschen, teils mit Rauschgiftproblemen, hinzustellen und die wenigen UnterstützerInnen gegeneinander aufzuhetzen.
Drei Jahre Haft forderte die Staatsschutzabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft in den Prozess gegen Christian P., einen Freispruch die Verteidigung. Dass Christian wie von zwei Polizisten in ziviler Kleidung beschrieben Flaschen auf PolizistInnen geworfen haben soll, konnte nicht stimmen. Am vorletzten Prozesstag wurde trotzdem der Verteidigung klargemacht, dass es ein hohes Urteil geben wird. Plötzlich während des Plädoyers, die Beweisaufnahme war schon geschlossen, stellte die Verteidigung ein Hilfsbeweisantrag: Wenn verurteilt wird, dann solle durch einen Psychologen festgestellt werden, dass Christian am 1. Mai 2009 Alkohol getrunken, 1g Kokain genommen, mehrere Joints geraucht und ein starkes Schmerzmittel genommen habe. Somit sei Christian vermindert schuldfähig. Dieser Antrag zeigte die Hilflosigkeit der Verteidigung gegen den Verurteilungswillen der Richterin und der beiden Schöffinnen auf. Die Pressesprecherin der Berliner Strafgerichte rieb sich die Hände: Der 1. Mai konnte nun den Medien als unpolitische Veranstaltung verkauft werden, bei dem unter Rauschgift stehende Menschen Randale machten.
Der Antrag der Verteidigung zielte auf ein paar Monate Gefängnis ab, die Christian erspart hätte werden können. Doch glaubhaft ist sein Rauschgift-Konsum nicht. Während des ganzen Prozesses kam sowas nicht zur Sprache. Es gab keine Ausfallerscheinungen, keine Ataxie oder andere Auffälligkeiten. Christian war nüchtern, der Trick der Verteidigung lief ins Leere. Der Antrag wurde abgelehnt, mit der Begründung, dass das Gericht genügend eigene Sachkunde hätten um einzuschätzen, dass Christian am 1. Mai 2009 Rauschgift genommen hat. Zuvor hatte die Verteidigung noch ihren Antrag relativiert, Christian habe nur Drogen genommen um die Schmerzen einer ärztlich attestierten Verletzung loszuwerden. Juristisch ein wichtiger Aspekt, der aber nicht von der vorsitzenden Richterin anerkannt wurde. Politisch gesehen war dieser Antrag allerdings ein Desaster! Das Urteil vor etwa 10 ProzessbeobachterInnen (bewacht von etlichen Justizbediensteten): 2 Jahre und 6 Monate Haft. Christian muss jetzt bis zu einem möglichen Berufungsprozess in Haft sitzen.
Im parallel stattfindenden Prozess gegen Yunus und Rigo, beide werden beschuldigt einen Molotowcocktail auf PolizistInnen geworfen zu haben, wurde es abgelehnt die beiden trotz der dünnen Beweislage aus der Untersuchungshaft zu entlassen. In den Prozesstagen zuvor gelang es dem Repressionsapparat die sich solidarisierenden Menschen in "politisch" und "unpolitisch", sowie "gewalttätig" und "friedlich" zu spalten.
Anlass war ein Selbstbezichtigungsschreiben der "autonome gruppen" zu einer Brandstiftung am 3./4. September 2009 in der es heisst, dass dem Oberstaatsanwalt Ralph Knispel, der Yunus und Rigo anklagt, das gleiche Schicksal wie dem ermordeten Polizisten Uwe Lieschied gewünscht wird. Die kommerziellen Medien griffen das Thema nach fast einem Monat auf und hetzten gegen Linksextremisten. Yunus und Rigo lassen eine Erklärung abgeben, sie seien nicht in der linken autonomen Szene organisiert und verabscheuen jegliche Gewalt. Auch politisch motivierte.
SBS vom 3./4. September 2009 - http://directactionde.blogspot.com/2009/09/auto-abgefackelt.html
Die Eltern von Yunus und Rigo hatten schon zuvor, am 1. Oktober 2009, eine Erklärung zu den Medienberichten abgegeben. In dieser heisst es: "Wir möchten unsere tiefe Bestürzung über die am 30. September in der Bildzeitung und BZ erwähnte Morddrohung gegen Ralph Knispel in einem Bekennerschreiben der "autonomen gruppen" zu Brandanschlägen in Berlin vom 3./4.9.09 zum Ausdruck bringen und uns nachdrücklich davon distanzieren. Die Verfasser dieser Drohung nutzen den Prozess gegen unsere Kinder, um eine gewaltbereite politische Auseinandersetzung zu führen, mit der Yunus und Rigo nichts, aber auch gar nichts, zu tun haben. Sie sind nicht in der autonomen Szene organisiert! Sie sind und waren niemals gewaltbereit! Wir fürchten, dass sich eine solche Form der politischen Stimmungsmache negativ auf das Verfahren gegen Yunus und Rigo auswirken wird und fordern deshalb die Verfasser der Drohung auf, sich nicht weiter in den Prozess gegen unsere Kinder einzumischen und jedwede gewaltbereite Veröffentlichung zu unterlassen. Herrn Knispel drücken wir unser Mitgefühl aus und bitten ihn, trotz dieser Morddrohung die Sachlage im Prozess gegen unsere Kinder unvoreingenommen zu beurteilen."
Blog der Solidaritätsgruppe - http://www.yunus-rigo-prozess.de
Aber nicht nur in diesem Prozess hat die Verteidigung und die Familien bzw. FreundInnen der Angeklagten nicht viel dem Repressionsapparat entgegenzusetzen. Und so "verbeugen sie sich vor dem hohen Gericht" und lassen sich aus Angst vor dem Gefängnis beliebig verformen. Ich kann es nachvollziehen, dass Menschen in einer extremen Zwangslage mit allen Mitteln versuchen sich daraus zu befreien.
Rene und Benjamin wird ebenso wie Yunus und Rigo vorgeworfen Molotowcocktails auf PolizistInnen geworfen zu haben. Es gab ein Geständnis, denn die beiden taten dies zusammen mit PolizistInnen in ziviler Kleidung. Verborgen wird bleiben, dass die PolizistInnen die beiden aufforderten die Brandsätze auf die Polizei zu werfen. Auch wird verborgen bleiben, dass am 1. Mai 2009 stellenweise ein Sechstel der DemonstrantInnen / ausschreitenden Menschen verdeckte Ermittler waren. Nicht aufgeklärt werden Flaschenwürfe von verdeckten PolizistInnen auf uniformierte PolizistInnen, um die Masse anzuheizen. Rene und Benjamin werden währenddessen als "unpolitische" Jugendliche verkauft, die mal ein Abenteuer erleben wollten.
Doch das Gegenteil ist der Fall. Zum ersten Mal seit Jahren wurde am 1. Mai politischer Inhalt nach aussen getragen. Kurz nachdem die (uniformierte) Polizei in die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration eindrang, wurde sie massiv angegriffen und befand sich bis zum Ende der Demonstration in der Defensive. Erst später wurden DemonstrantInnen durch verdeckte ErmittlerInnen markiert und von uniformierten Polizeikräften festgenommen.
Die Antirepressionsarbeit ist mehr als mangelhaft. Zwar gab es eine nette Solidaritätsparty, aber zu den Prozessen kommen kaum Menschen die nicht mit den Angeklagten befreundet oder verwandt sind. Offensichtlich wurde es von den OrganisatorInnen der Revolutionären 1. Mai-Demonstration vernachlässigt sich um Antirepressionsarbeit zu kümmern. MitdemonstrantInnen scheinen auch nicht gewillt zu sein für die Angeklagten etwas zu tun - Mit Ausnahme der Autonomen Gruppen und anderen vereinzelten AktivistInnen. Auch der Ermittlungsausschuss, Anarchist Black Cross Berlin und die Rote Hilfe scheinen überlastet zu sein. So bitter es klingt, es wäre ehrlicher nächstes Jahr folgendes auf den Plakaten die für die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration werben stehen zu haben: "Wenn Du geschnappt wirst, bist Du allein!" Die Alternative dazu wäre, Antirepressionsarbeit schon vor den Aktionen und der Demonstration zu organisieren.
Ein Lichtblick ist das Verhalten der VerteidigerInnen im sogenannten mg-Prozess, die heute die Plädoyers verweigerten. Sie taten das um zu verdeutlichen, dass ihre Mandanten kein faires Verfahren ausgesetzt waren. Wir sind, wie die RechtsanwältInnen, alle Rädchen im repressiven Menschensystem. Darum sollten Wir wieder lernen zu kämpfen und nicht nur schöne schwarze Kleidung zu tragen.
Bericht über das Nichtplädieren - http://de.indymedia.org/2009/10/263362.shtml