Roland Ionas Bialke - Indymedia - 14. Mai 2010
Im Berliner Bezirk Neukölln wurde ich heute, den 14. Mai 2010, gegen 0 Uhr 25 von zwei Neonazis angegriffen. Die Neonazis verwendeten dabei einen metallischen Gegenstand, vermutlich ein Messer. Nach kurzer Flucht traf ich auf Passanten, die mich vor weiteren Angriffen schützten. Dieser Angriff ist jedoch kein Einzelfall. So wurden in den vergangenen Monaten in Nord-Neukölln und Kreuzberg bei linken Projekten Scheiben eingeworfen, rechte Graffitis gesprüht und auch antifaschistische Einzelpersonen bedroht.
Gegen 0 Uhr 25 ging ich heute die Boddinstrasse entlang. Es war dunkel, die Strasse aber partiell gut ausgeleuchtet. In Höhe der Volkshochschule Boddinstrasse sah ich zwei dunkel gekleidete Personen (schwarze Kapuzenjacken), die sich relativ langsam vom Haupteingang der Volkshochschule wegbewegten. Ich holte die beiden gehend schnell ein und sah, wie der eine (männlich, etwa 180 cm gross, stämmige Statur) ein Aufkleber an einen beleuchteten Pfeiler klebte. Ich lief etwa ein bis zwei Meter neben ihn, und sah mir den Aufkleber genauer an, ohne von meinen normalen Weg abzuweichen. Darauf befand sich die Abbildung eines durchgestrichenden Polizisten. Die zweite Person (männlich, ca. 190 bis 195 cm gross, schlank, dunkel blonde Haare) lief in diesem Augenblick auf der anderen Seite ca. ein bis zwei Meter neben mir, bewegte sich vor mir aber zu der anderen Person und kratzte einen anderen dort schon klebenden Aufkleber ab. Kleben und kratzen geschah mit den blosen Händen. Beim überholen der grösseren Person schaute ich ihm direkt ins Gesicht.
Als ich die beiden relativ langsam überholt hatte, ich dachte mir bei dem "Polizei-Aufkleber" nichts böses, sprach mich die hinter mir stehende kleinere Person mit den Worten "Bialke, du Fotze!" an, worauf ich begann die Strasse zu überqueren und dabei anfing schneller zu gehen. Der kleinere Neonazi meinte zu den grösseren anschliessend: "Soll ich ihn abstechen?", wobei ich mich durch diese Äusserung kurz umdrehte und den kleineren Neonazi sich gebeugt seine Kapuze ausetzten sah. Dabei hatte er Handschuhe an. Aus seiner Tasche holte der Neonazi zudem einen metallischen Gegenstand, den ich aber nicht erkannte, weil alles im schnellen gehen geschah. Ich vermutete in diesem Moment ein Messer, konnte darüber aber nicht nachdenken, denn der Neonazi fing an hinter mir herzurennen.
Ich trug eine Sporttasche bei mir, konnte aber trotzdem ziemlich schnell wegrennen. Zwei Blocks weiter traf ich dann zum Glück auf einige Passanten, die ich um Hilfe bat. Die Passanten begleiteten mich anschliessend in meine naheglegene Wohnung, die schon in der Nacht vom 8. zum 9 März 2010 von Neonazis aufgesucht wurde. Damals - siehe: http://de.indymedia.org/2010/03/275410.shtml - wurde meine Hauswand und meine Wohnungstür mit schwarzer Farbe und rechten Parolen besprüht.
Obwohl ich in der Vergangenheit eine Zusammenarbeit mit der Polizei ablehnte und negativ kritisierte, rief ich die Polizei. Ich vermutete die Neonazis noch in der Nähe meiner Wohnung. Ich hätte mich in diesem Moment lieber an einen antifaschistischen Selbstschutz gewendet, aber der war nicht da. Die Polizei war etwa 5 Minuten später vor Ort und entdeckte weitere Aufkleber von einer Gruppe "Nationale Aktivisten Neukölln" in der Gegend.
Wenn Ihr Bilder von Neonazis aus Berlin habt, dann schickt diese bzw. den Link zu diesen Bildern mir bitte. Zumindest eine der beiden Personen kann ich identifizieren.
Nachtrag:
Kritik, Prävention und Intervention
Im nachhinein halte ich es für eine schlechte Entscheidung die Polizei gerufen zu haben. Während und kurz nach dem Angriff hatte ich grosse Angst, war voll kommen durcheinander, und habe sogar völlig unbedacht die Polizei in meine Wohnung gelassen. Anschliessend habe ich mich sogar bei einen Polizisten bedankt, als er sagte, dass sie jetzt die in der Nähe gelegenen Strassen abfahren würden. Was sie dann auch taten. Ich war sogar so durcheinander, dass ich mein Gedächnisprotokoll, dass ich kurz bevor die Polizei kam angefertigt hatte, der Polizei in die Hand drückte.
Mit diesen Verhalten habe ich aber nicht nur mich selbst gefährdet, sondern auch andere linke Menschen. So hätte die Polizei ja auch andere schwarzgekleidete Menschen aufgreifen können, denn schwarzgekleidete Antifas und Alternative sind in der Gegend ja auch nicht so selten. Vor allem bin ich aber ein Gegner der Strafe und habe mit meinen Verhalten Haus und Hof für diese geöffnet. Ich konnte doch genug sehen, dass Bestrafung nichts bringt, Neonazis im Gefängnis auch keinne besseren Menschen werden. Und die Justiz und Polizei quält durch ihr Handeln nicht nur Menschen in Gefängnisgebäuden.
Prävention und Intervention halte ich im Kampf gegen Neonazis für sinnvoll. Ich hätte mir z.B. eine Telefonnummer gewünscht, wo ich kurz nach dem Angriff anrufen hätte können und der Anruf dann Antifas schnell mobilisiert hätte. Ich denke, dass ich mich bei jeden und jeder bedankt hätte, der bzw. die mir in der Situation geholfen hätte. Es tut mir jetzt fast schon leid, dass ich vor einiger Zeit mal einige Antifas (negativ) kritisierte, die in einer ähnlichen Situation die Polizei riefen und später auch bei der Polizei waren um die Täter zu identifizieren. Die Polizei zu rufen kann schon notwendig sein! Das darf aber nicht als Ausrede für Organisationsunfähigkeit gelten. Ich habe manchmal das Gefühl, dass das genau das ist.
Für Kritik,ob negative oder positive, bin ich dankbar.Ohne Kritik kann ich mich schlecht verändern, kann ich mein Handeln nur schlecht reflektieren. Nur mit Beleidigungen kann ich nichts anfangen! Mit meinen eigenen Namen zu schreiben und in der Öffentlichkeit zu stehen, ist ein wichtiger Bestandteil meiner Politik. Dafür habe ich mich entschieden und ich werde zu meiner Entscheidung weiterhin stehen. Es kann nicht sein, dass Neonazis über das Leben und das Wirken anderer Menschen entscheiden!
Auffällig ist jedoch, dass notwendige Diskussionen nicht oder nur versteckt öffentlich geführt werden. Ich denke, dass eine grosse, öffentliche Debatte über den antifaschistischen Selbstschutz notwendig ist.