Roland Ionas Bialke - Indymedia - 14. Dezember 2010
In den vergangenen Monaten kam es im Umfeld der Rigaer Strasse zu zwei Tötungsversuchen. Nutzer des in der Rigaer Strasse ansässigen linken Politik- und Partymilieus stachen Menschen nieder. Daneben gab es Brandstiftungen, bei denen das gelegte Feuer auf Wohnhäuser und auf ein Pflegewohnzentrum hätten übergreifen können oder übergriff. Eine notwendige Kommunikation über die Vorfälle und eine offene Reflektion fand nicht statt. Politische Gruppen im Kiez griffen das Thema der Gewalt im Kiez und auch aus der Szene heraus nicht auf.
In der letzten Zeit gibt es immer mehr Plakate, Videos, Flugblätter und Konzerte in den linken Szenen Berlins, die Gewalt einen positiven Wert zusprechen, Hass verherrlichen und exzessive Gewalttaten im positiven Kontext setzen. Zusätzlich wird Alkohol zur Finanzierung politischer Projekte benutzt und Abhängigkeit somit gefördert. Konsum ist gut, wenn die Kasse stimmt - Je enthemmter, desto besser.
Versuchte Tötung vor dem Fischladen
Am 7. Juni 2010 kam es gegen 4 Uhr morgens vor dem Fischladen (Rigaer Strasse 83) zu einem Tötungsversuch. In der selbstverwalteten politischen Kneipe bestellte sich ein Mann, mit einer Hammer-und-Sichel-Tätowierung auf dem Oberarm, das Wort "FUCK" auf den Fingern der rechten Hand tätowiert und "linken Erscheinungsbild", und seine Begleitung Bier. Eine Gruppe junger Leute tat es ihnen gleich. Als sie aus dem Laden gingen, stach die tätowierte Person unvermittelt auf eine Person aus der Gruppe der anderen ein. Der 24-jährige Betroffene wird durch einen Stich in die Brust schwer verletzt, überlebt aber dank einer Notoperation im Krankenhaus.
Die Menschen im Fischladen und die Betroffenen arbeiten anschliessend mit der Polizei zusammen und machten Aussagen. Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden: Das Verhalten der betroffenen Personen soll hier nicht bewertet werden. Wichtig ist jedoch aufzuzeigen, dass sogenannte rechtsfreie Räume bzw. Experimentierräume von der Utopie vom Freien Leben zur puren Hölle werden können. Ebenfalls ist es wichtig aufzuzeigen, dass ein Selbstschutz in solchen Räumen nicht existiert.
Eine übergreifende Diskussion in der Rigaer Strasse entwickelte sich anscheindend nicht, obwohl dort (noch) mehrere linke Projekte ansässig sind. Auch eine öffentliche Versammlung zu dem Vorfall, wo über die Ursachen und dem Umgang mit dem Vorfall diskutiert werden kann, wurde nicht veranstaltet.
Versuchte Tötung auf dem Dorfplatz
Ähnliches geschah auch in der Nacht zum 4. November 2010 auf dem Dorfplatz (Rigaerstrasse / Ecke Liebigstrasse). Ein Mann, der sich aud dem Weg zu seiner Arbeit befand, wurde von einem anderen Mann mit einen Messer in den Rücken gestochen. Der betroffene konnte sich schwer verletzt in ein naheliegendes Geschäft flüchten. Der Täter scheint aufgrund seiner Kleidung und seiner Äusserung aus "der linken Szene" zu stammen.
Direkt vor zwei linken Hausprojekten wird eine Person abgestochen. Den Projekten und auch den Umfeld der Rigaer Strasse scheinen sich auch nicht für diesen Vorfall zu interessieren. Selbst in der Silvio-Meier-Demonstration wurden diese Vorfälle nicht thematisiert. In einer Pressemitteilung der Berliner Polizei heisst es dann später, dass der Täter die betroffene Person für einen "Nazi" hielt. Bezeichnend hierbei für die partypolitische Szene ist, dass es in der selben Pressemitteilung heisst, dass ein politisches Motiv ausgeschlossen werden kann.
Brandstiftungen an Wohnhäuser
Am 19. Juni 2010 gegen 1 Uhr 40 wurde im Hof eines an der Rigaer Strasse 94 angrenzendes Wohnhaus eine Mülltonne angezündet. Das Feuer griff auf einen Schuppen über, konnte jedoch gelöscht werden, bevor es auch auf das Wohnhaus übergriff. Die Bewohner und Bewohnerinnen des Hauses wurden während der Löscharbeiten evakuiert. Das Wohnprojekt Rigaer Strasse 94, das in dieser Nacht ein Hoffest ausrichtete und in der sich der Veranstaltungsraum "Kadterschmiede" befindet, distanzierte sich später per Aushang von dieser Menschen gefährdenden Aktion. Diese Brandstiftungen wären nicht die Politik der Rigaer 94.
Verantwortung wurde nur unzureichend übernommen. Und auch ein Zusammenhang von Werbemitteln mit Gewaltbildern, dumpfen Parolen oder Hass reproduzierender Musik wurde nicht erkannt. Auch der enthemmende Rauschmittelkonsum wurde nicht thematisiert. Eine ähnliche Brandstiftung gab es dieses Jahr auch in der direkten Nähe zu einem Pflegewohnzentrum (umgangssprachlich: Altersheim) in der Liebigstrasse.
Gewalt ist kein Einzelfall
Die Vorfälle in der Rigaer Strasse sind im Bezug auf andere linke Projekte in Berlin und deren Umfeld keine Besonderheiten. Auch in und rund um anderen Projekten gibt es ähnliche Gewalt. Eine Auseinandersetzung mit dieser Gewalt und mit ihren Ursachen findet jedoch nur in den seltensten Fällen statt. Zumeist entziehen sich die Betroffenen, sie verlassen die "Freiräume".
Schon in der besetzten Mainzer Strasse wurde von "Psychos" gesprochen, die die Menschen in den Projekten körperlich angriffen, sich an anderen sexuell vergingen oder im Hausflur Feuer legten. Erfahrene Aktivisten und Aktivistinnen blieben den heute noch bestehenden Projekten allerdings nicht. Und auch eine verschriftlichte Auseinandersetzung mit diesem Thema scheint es nicht zu geben.
Da in vielen linken Szenen der Grundsatz herrscht nicht mit der Polizei zu reden und Hausbesetzung oder gegen die Polizei zu sein nicht unbedingt legal sein muss, haben Menschen, die die Unversehrtheit anderer und deren Willen nicht respektieren, leichtes Spiel andere anzugreifen und damit davonzukommen. Und auch zu hoch ist die Hemmschwelle für die Menschen in den Projekten von den Vorfällen in ihrem Umfeld zu sprechen - sorgt das doch für einen schlechten Ruf...
In der Vergangenheit fielen Menschen aus Fenstern oder Häuser brannten. Zu einer Aufklärung dieser Fälle kam es meistens nicht. Als Beispiel kann die abgebrandte Rigaer 84 genannt werden. Aber auch präventiv passiert kaum etwas? Viele Menschen bleiben mit ihren Ängsten diesbezüglich allein. Letztendlich haben viele Menschen auch Angst davor, linke Kneipen zu betreten, weil es dort zu Schlägereien kommt.
Berichte davon, dass schlafende Menschen in besetzen Häusern mit Fusstritten von anderen Besetzern und Besetzerinnen geweckt und anschliessend verprügelt wurden, sind keine erfundenen Horrorstories. Die Frage ist, was können WIr so einer Gewalt entgegensetzen? Auch der Umgang mit der Staatsgewalt in solchen Fällen ist nicht geklärt.
Das Schlagen von Menschen, die nicht der gleichen Meinung sind oder Menschen, die sich nicht angepasst verhalten, gibt es auch in den linken Szenen. Einige meinen sogar, dass dies eine linke politische Einstellung wäre. Und auch das Anzünden von Wohnhäusern sei ein gutes politisches Verhalten.