Roland Ionas Bialke - Bialke Free Press - 21. Oktober 2013
Sammelkanäle sind begehbare kellerähnliche Tunnel, in denen Leitungen u.a. für den Strom, für das Kabelfernsehen, des Kommunikationsnetzes, der Gasversorgung, des Trinkwassers gebündelt verlaufen. Die in den Sammelkanälen verlaufenen Leitungen können gewartet werden ohne dafür Strassen und Gehwege aufreissen zu müssen. Die Belastung der Bevölkerung durch Baustellen - und somit Behinderungen im alltäglichen Verkehr - wird durch Sammelkanäle gemindert.
In Berlin kennen es viele: "Überall Baustellen." Ein grosser Teil dieser Baustellen ist durch Arbeiten an der Wasserversorgung, der Abwasserentsorgung, der Gasversorgung, der Stromversorgung, der Wärmeversorgung und des Telefonnetzes verursacht. Diese Arbeiten behindern Autofahrer und Fussgänger im ähnlichen Umfang. Strassen und Gehwege müssen aufgerissen werden, Boden wird ausgehoben, und Rohre und Leitungen werden für jedes Gebäude verlegt. Die Leitungen und Rohre müssen gewartet werden, sodass regelmässig und im Schadensfall wieder die Strassen und Gehwege aufgerissen werden müssen. Wieder muss das Erdreich ausgehoben werden. Es enstehen wieder Baustellen, die Menschen werden sowohl in der Nutzung der Ver- und Entsorgung eingeschränkt, als auch im alltäglichen Verkehr behindert.
Schon 1847, als das Gas-Monopol der britischen Imperial Continental Gas Association (ICGA) in Berlin gebrochen wurde, gab es Überlegungen die unterschiedlichen Berliner Gas-Leitungssysteme und unterschiedliche Versorgungssysteme Berlins in Sammelkanäle zu bündeln. Die damaligen Müllprobleme im Untergrund, und die damit einhergehenden verkehrs- und kostenökonomischen, sowie ökologischen Probleme konnten schon erahnt werden. 1913 gab es schliesslich einen architektonischen Entwurf die Sammelkanäle Berlins mit denen anderer Metropolen wie Prag und Wien zu verbinden. Ein solches Vorhaben hätte bedeutet, dass es begehbare Tunnel zwischen den Städten geben würde.
Mit steigender Popularität des U-Bahnbaus in den europäischen Metropolen stieg auch die Anzahl der Sammelkanäle. In Berlin entstanden in den 1920er Jahre verschiedene kilometerlange Sammelkanäle, so z.B. unter der Frankfurter Allee (3,3 km) oder vom Mehringplatz (Kreuzberg) ausgehend.
In Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Kreuzberg, Mitte, Hohenschönhausen, Lichtenberg und in Marzahn gibt es Sammelkanäle. Die bedeutendste Sammelkanal-Anlage Berlins mit 9,8 km Länge befindet sich allerdings unterhalb von Marzahn. Hier kann man beispielsweise unterirdisch direkt von der Poelchaustrasse nach Alt-Marzahn laufen.
Als in den 1970er Jahren in der DDR - und in vielen Städten des Warschauer Pakts - komfortable Neubauten entstanden, wurde auch die Versorgung anders gehandhabt. Versorgung sollte keine private Sache sein, sondern etwas Kollektives. Und so wurden unter den Plattenbauen begehbare Tunnel gebaut, die viele Leitungen einfach zu warten und kontrollierbar machten. So sieht man in Marzahn oft Treppen, die nach unten führen, jedoch an einer verschlossenen Tür enden. Und auch in anderen Stadtteilen sieht man Lüftungsschächte auf erhabenen Boden oder verschlossene Türen in U-Bahnhöfen.
Sammelkanäle und Repression
Sammelkanäle sind ein Beispiel für einen anderen Aspekt der Repression (Ordnungserhaltung). Während das polizeiliche Handeln oftmals in der angeblich-antirepressiven negativen Kritik steht, werden andere ordnungserhaltende Aspekte, die Menschen und ihr Handeln einschränken, beeinflussen und ggf. unterdrücken, wenig oder nicht beachtet. Anhand des Beispiels der Sammelkanäle in Berlin können diese anderen Aspekte der Repression verdeutlicht werden.
Probleme - und die Behinderung des alltäglichen Verkehrs der Bevölkerung ist ein Problem - sollten nicht geleugnet werden. Wenn sich radikale, emanzipatorische Kräfte als Sensitizer verstehen, dann sollten sie sich den Problemen stellen. Wie sehen beispielsweise Versorgungsleitungen in anarchistischen oder lokal-basisdemokratischen Konzepten aus?
Andererseits muss sich die Frage gestellt werden, ob ein Zwang zu bestimmten Leitungssystemen, ob jetzt privat-individuell oder kollektiv-gesammelt, mit den bestimmten Verkehrs- und Versorgungsbeeinflussungen überhaupt einem anti-repressiven Konzept entsprechen kann. Militantes Verhalten, d.h. reflektierte politische Entscheidung im "Alltag", zum Thema Versorgungskanäle und Verkehrseinschränkungen durch diese gibt es in emanzipatorischen Diskussionen kaum, oder zumindest öffentlich kaum wahrnehmbar.
Wartung der Sammelkanäle und assoziierte Formen
Das Netz der Sammelkanäle in Deutschland ist 330 km lang. In Berlin kommt man offiziell auf fast 16 km Länge. Die Sammelkanäle werden meistens von jeweils einer Firma pro Stadt gewartet. In Berlin übernimmt die Wartung der Sammelkanäle die Firma "Sammelkanal- und Service GmbH (SAKA)" mit etwa 10(!) Mitarbeitern.
Einer Legend zufolge soll es auch einen geheimen Kanal von der NSA-Station im Grunewald zu einer Bunkeranlage geben. Ebenso wird über ein geheimes Regierungsprojekt mit Sammelkanalanschluss in Berlin-Biesdorf diskutiert. Da auch diese Anlagen an ein Versorgungsnetz angeschlossen sein müssen, und entsprechend gewartet werden, kann man hier eine Brücke zu den Firmen, die Sammelanlagen betreuen, schlagen - und vermuten, dass es geheimdienstliche Verbindungen zu diesen Firmen gibt. Kriminalpolizeilich gab es immer wieder Untersuchungen in und an den Sammelkanälen in Berlin. U.a. zum Fall "Dagobert" und zu Ermittlungen der "Vitnamesischen Zigarettenmafia". Ebenso haben Sammelkanäle eine Bedeutung im Bezug auf präventive Terrorabwehr.
Der ehemals geheime Bundesbankbunker Cochem war eine sammelkanalähnliche Anlage. Eine verdeckte Tür in einer Schule verbarg einen Tunnel in einen geheimdienstlichen Bankbunker. Hier wurde die BBk-II-Serie der Deutschen Mark gelagert - eine Notwährung, die fast über Nacht die Deutsche Mark hätte ersetzen können. Auch der Euro hat solchen Ersatz.